Bindungsängstlichen gelingt es nicht, entweder grundsätzlich in einer festen Paarbeziehung zu leben oder in einer gelebten Beziehung wirkliche Nähe zuzulassen. Das Zulassen von Nähe in Beziehungen drückt sich darin aus, sich dem Partner offen und verletzlich zu zeigen, tiefe Emotionen zuzulassen und zu teilen. In beziehungsängstlichen Menschen herrscht die unbewusste Überzeugung, sie seien so, wie sie sind, nicht liebenswert genug und würden daher in der Gefahr leben vom Partner verlassen zu werden.
Oder sie haben die Erfahrung gemacht, sie müssten sich in einer Partnerschaft für die Ansprüche und Erwartungen des Partners einschränken und verbiegen. Dem Gegenüber wird dann nur eine Version von sich gezeigt, Facetten des Selbst in die Auslage gestellt.
So paradox es klingen mag, bindungsängstliche Menschen suchen in ihrem tiefsten Inneren nach inniger Nähe, haben aber große Angst, dem Schmerz des Verlassenwerdens oder der völligen Vereinnahmung ausgesetzt zu werden. Für Partner von Beziehungsängstlichen ist diese Distanziertheit eine große Herausforderung und kann für sie sehr schmerzhaft sein.
„Ich und beziehungsängstlich? So ein Blödsinn! – Oder doch?“
Bindungsphobische Menschen sind sich ihrer Bindungsangst sehr oft gar nicht bewusst. Sie leben ihrer Wahrnehmung nach eben als überzeugter Single oder in einer als ganz normal wahrgenommenen Paarbeziehung.
Bindungsängstliche Menschen wählen sehr oft die Form der Fernbeziehung. Eine Fernbeziehung bietet für Bindungsängstliche den großen „Vorteil“, sich nur zeitlich beschränkt dem Stress aussetzen zu müssen, vom Partner „erkannt“ oder vereinnahmt zu werden. Sie behalten in einer Fernbeziehung, die durch die große Distanz und beschränkte Begegnungshäufigkeit geprägt ist, größtmögliche Kontrolle darüber, wie oft und wie intensiv sie in Gefahr geraten, vom Gegenüber in ihrem Innersten angerührt zu werden. Sich reduziert und daher geschützt zeigen zu können, fällt in Fernbeziehungen viel leichter als in Beziehungen, in denen sich die Partner oft begegnen. Fernbeziehungen bedürfen zeitlicher Planung, was die Berechenbarkeit steigert. Sich seinem Partner nicht ungeplant und unvorbereitet zeigen zu müssen, genügend Zeit zu haben, sich vor einer Begegnung gleichsam zu maskieren, ist Bindungsängstlichen sehr wichtig.
Die Ursache von Bindungsangst
Wer in emotionalen Dingen (früh) verletzt wurde, lässt keine tiefen Emotionen mit dem Partner zu, weil die Angst vor einer Wiederholung von Verletzungen zu groß ist. Es sind zwei Hauptängste, die dazu führen können, emotionale Nähe zum Partner (unbewusst) vermeiden zu wollen: die Angst davor, abgelehnt zu werden und daher den Partner zu verlieren sowie die Angst, vom Gegenüber vereinnahmt zu werden und sich selbst zu verlieren.
Die Angst vor emotionalen Bindungen wird meist schon in frühester Kindheit in der Beziehung zur Mutter begründet. Ist die Mutter distanziert oder abweisend, lernt ein Kind, seine Gefühle zu unterdrücken, wirkliche Nähe wird damit erschwert. Ist die Mutter bedürftig und fordernd, missbraucht es ihr Kind gar, indem sie das Kind zur „Großen“ macht, um sich als „Kleine“ emotional stützen und versorgen zu lassen, lernt das Kind, sich nicht auf wirkliche Nähe einzulassen, immerwährenden schützenden Abstand zu halten. Wird ein Kind von den Eltern laufend beschämt, wird es ob seiner Gefühlsäußerungen abgewertet, lernt es, dass ein sich verletzlich Zeigen, automatisch mit Verletzung beantwortet wird. Ein geringes Selbstwertgefühl und ein negatives Selbstbild sind die Folge. Einer wirklichen Nähe zu einem Partner ist damit ein Riegel vorgeschoben.
Bindungsangst ist heilbar
Ein bindungsängstlicher Mensch, der sein Problem vor sich und seinen Partnern leugnet, wird nie richtig lieben können. Wenn jedoch die Bereitschaft besteht, offen hinzusehen und an sich zu arbeiten, besteht durchaus die Chance auf Heilung. In erster Linie ist es wichtig, eine gute Bindung und Beziehung zu sich selbst aufzubauen. Dafür ist ein offenes Annehmen der eigenen Gefühle, die bisher verdrängt werden mussten, erforderlich.
Es ist die innere Verbindung zu sich selbst, die zuerst geschaffen werden muss, um mit einem anderen Menschen in eine gesunde, sich gesund abgrenzende, authentische und reife Bindung zu gehen. Dieser Weg kann langwierig und auch schmerzhaft sein. Er zahlt sich aber aus, weil sich dann die Tür öffnet für liebevolle Beziehungen, in denen intensive Erfüllung und Freude erfahren werden können.
Menschen mit Angst vor Nähe können ihre Begrenzung in aufrechter Beziehung mit ihrem Partner bearbeiten. Hierfür eignet sich die Methode des offenen Mitteilens äußerst gut. Michael Lukas Moeller hat mit seinem Buch „Die Wahrheit beginnt zu zweit“ einen hilfreichen Leitfaden dazu geschaffen. Fassen Sie Mut Ihrem Partner/Ihrer Partnerin von sich und Ihrem Innersten zu erzählen, sich zu öffnen, denn was in Beziehung krank wurde, kann nur in Beziehung geheilt werden!